Im letzten Blog haben wir über das Prinzip des Unwindings gesprochen – jenes feine, spontane Sich-Entfalten des Körpers, wenn er beginnt, seiner eigenen Intelligenz zu folgen.
Unwinding geschieht, wenn Bewegung von innen entsteht – nicht, weil wir etwas tun, sondern weil wir Raum geben.
In der Massage zeigt sich Unwinding auf vielfältige Weise – in sanften Gelenkbewegungen, in den feinen Mikro-Impulsen aus der Tiefe nach einer bewussten Pause oder in grösseren, organisch entstehenden Bewegungen des Körpers.
Unwinding als Antwort auf Kompression
Mit der Zeit hat sich mir eine weitere Facette dieses Prozesses gezeigt – ein Unwinding, das als Antwort auf eine vorhergehende Kompression entsteht.
Wenn der Körper zunächst sanft verdichtet wird – durch eine feine aktive Bewegung oder durch passive Mobilisation – und wir dann loslassen, kann das Gewebe beginnen zu atmen. In diesem Moment zeigt sich der natürliche Fluss – still, lebendig, wahr. Er bewegt sich in jene Richtung, die für das Gewebe am einfachsten ist, am wenigsten Energie erfordert – eine Bewegung, die wir mit unseren Händen achtsam begleiten.
Wenn der obere Rücken wie ein Panzer wirkt
Viele von euch kennen diesen Moment aus der eigenen Massagepraxis:
Die Hände beginnen ihre ersten langen, fliessenden Streichbewegungen über den Rücken – und unter der Oberfläche wird sofort eine tiefe Spannung spürbar.
Besonders im oberen Rücken, zwischen Schulterblättern und Nacken, fühlt sich das Gewebe oft an wie ein Panzer.
Häufig begegnen wir hier Menschen, die täglich viele Stunden am Computer verbringen oder deren Körperhaltung sich über Jahre leicht nach vorne geneigt hat. In diesen Strukturen herrscht ein Dauerzustand von Überspannung.
Auch depressive Zustände zeigen sich fast immer in Form chronischer Rückenspannungen – in jenem leichten Zusammenfallen nach vorne, das den Atem einschränkt und den Ausdruck des Herzens dämpft.
Die langen, fliessenden Bewegungen der Esalen Long Strokes wirken hier wohltuend und regulierend – und doch bleibt oft etwas starr, unbewegt, festgehalten.
Der erste Impuls vieler Masseur:innen ist, in diese Bereiche mit mehr Druck zu arbeiten.
Doch es gibt eine andere Möglichkeit, diesen angespannten Zonen wieder Leben, Bewegung und Fluss zu schenken: Unwinding durch Kompression als Startpunkt.
Eine erste Möglichkeit besteht darin, den Körper aktiv in den Prozess einzuladen: Wir fordern die Klientin sanft auf, gegen unseren Druck eine feine Muskelkontraktion auszuführen.
1. Der aktive Impuls – bewusste Kontraktion als Einladung zur Entspannung
Oft haben Menschen, deren Gewebe sich in einer Daueranspannung befindet, den Bezug zu genau diesen verspannten Bereichen verloren.
Als Erstes gilt es, dort Bewusstsein hineinzubringen – mit Fragen, die ermutigend klingen, anstatt mit direkten Aufforderungen zum Loslassen.
Zum Beispiel:
„Kannst du mich etwas unterstützen, indem du den Bereich, unter meiner warmen Hand, von innen her etwas weicher machst?“
„Vielleicht kannst du deinen Atem bewusst dorthin leiten?“
„Schau mal, ob du nun ganz langsam deine Schulter Richtung Ohr ziehen kannst … ja, genau so.“
„Und jetzt versuch, diesen Bereich ebenso langsam wieder zu entspannen.“
Wenn dann das bewusste Loslassen folgt – langsam, weich, mit Aufmerksamkeit –, entsteht plötzlich Raum: ein neues Anordnen, ein sanftes Fliessen in der Dreidimensionalität des Gewebes.
Ein spontanes Unwinding kann einsetzen, und wir folgen dieser Bewegung mit unseren Händen.
2. Der passive Impuls – vom Verdichten zum Fliessen
Ebenso können wir Unwinding auch passiv initiieren.
Anstatt den Körper zu weiten, bringen wir ihn zuerst in eine sanfte Kompression – etwa, indem wir den Arm des Klienten langsam Richtung Ohr führen.
Dadurch verändert sich die räumliche Anordnung der Knochen und Muskeln. Wir geben einen neuen Impuls in ein Gewebe, das vielleicht stagniert oder „vergessen“ hat, sich zu bewegen.
Aus dieser Kompression heraus – in dem Moment, wo wir wieder loslassen – entsteht oft ein Punkt, an dem Unwinding von selbst beginnt. Dann werden wir als Therapeut:innen zu Zuhörenden.
Wir lassen uns leiten vom Gewebe, vom Atem, von der Bewegung, die sich entfalten will.
Wir folgen dem, was unter unseren Fingern geschieht – mit Neugier, ohne Absicht, ohne Plan.
In diesem Raum wird die Massage zu einem Gespräch ohne Worte – zu einem gemeinsamen Atmen, zu einem Fluss.
Bewusstsein durch Berührung
Wenn wir mit Präsenz berühren, bringen wir nicht nur Hände an Haut – wir schaffen Kontakt. Am Berührungspunkt entsteht Bewusstheit: ein feines Wahrnehmen, ein Erinnern an das, was im Körper lebendig ist.
Im Zentrum dieser therapeutischen Berührung der Esalen Massage steht das humanistische Menschenbild, das davon ausgeht, dass in jedem Menschen eine innewohnende Fähigkeit zur Selbstregulation, zur inneren Ordnung und zur Ganzwerdung wirkt.
Es ist die tiefe Überzeugung, dass der Organismus – wenn er sich sicher, gesehen und berührt fühlt – von selbst Wege zur Balance findet.
Durch achtsame, präsente Berührung und das bewusste Wahrnehmen fördern wir genau diesen Prozess.
Wir bieten dem Körper keine Richtung vor, sondern erinnern ihn an seine eigene Intelligenz – an seine Fähigkeit, sich zu harmonisieren, zu heilen, sich lebendig zu spüren.
Oft braucht es dafür weder starken Druck noch Dehnung, sondern nur jene klare, stille Aufmerksamkeit, die dem Körper erlaubt, an seine eigenen Bewegungsmöglichkeiten anzuknüpfen.
Weiter erforschen – Unwinding, Flow und Stille
Wenn du diese und andere Formen des Unwindings in deiner Massagepraxis erleben und vertiefen möchtest, lade ich dich herzlich ein zur Fortbildung “Esalen® Massage: Unwinding, Flow und Stille”
im November in Langenthal.
Dort erforschen wir gemeinsam, wie Berührung, Bewusstsein und Bewegung zu einem lebendigen Ganzen werden – und wie aus Kompression wieder Fluss entsteht.
05.10.2025 / Lili Imboden