Einer der interessanten Aspekte einer Entspannungsmassage ist die Produktion eines körpereigenen, hoch wirksamen Stoffes, dem Oxytocin. Als Bindungshormon, als Hormon der Nähe wird es auch bezeichnet, denn es wird bei jeglicher Art von Berührung ausgeschüttet, solange diese als angenehm bewertet wird.
Oxytocin: viele unterschiedliche Wirkungen
Oxytocin reguliert und beeinflusst viele verschiedene physiologische Wirkkreise. Zum einen wird es bei der Geburt und beim Stillen freigesetzt, bewirkt die Kontraktion des Uterus und fördert die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind.
Das schmerzhafte Zusammenziehen der Gebärmutter und der kraftvolle Milcheinschuss in den ersten Tagen nach der Geburt, sobald das Baby anfängt, an der Brust zu saugen? Oxytocin. Das sanfte Streicheln, das Halten und Tragen, der liebevolle Augenkontakt zwischen Baby und seinen Bezugspersonen, Glücksgefühle? Oxytocin. Das Gefühl von Entspannung und Wohlbefinden bei einer Entspannungsmassage? Oxytocin.
Oxytocin: Hormon und Neurotransmitter zugleich
Dieses grosse Molekül aus neun verschiedenen Proteinen ist Hormon und Neurotransmitter zugleich. Sowohl Hormone und Neurotransmitter übertragen Signale im Körper. Neurotransmitter tun dies, indem sie dafür sorgen, dass elektrische Signale über den Berührungspunkt zweier Nervenzellen weitergeleitet werden. Hormone finden ihren Weg über die Blutbahn direkt zu ihren Zielzellen, wo sie an spezifische Rezeptoren andocken und Signalkaskaden auslösen.
Oxytocin: Teil eines Orchesters
Oxytocin ist Teil des Orchesters, das die grosse Sinfonie unsere Körpermusik mitgestaltet. Es wirkt nicht isoliert, sondern spielt mit in verschiedenen Regulationskreisen, interagiert mit anderen Hormonen, Neurotransmittern und dem Immunsystem. Es steigert die Aktivität des parasympathischen Nervensystems und moduliert die Antwort des Körpers auf Stress, Angst und Schmerzen. Es wirkt nicht per se schmerzstillend, scheint jedoch die Fähigkeit zu haben, die Schmerzwahrnehmung nach unten zu regulieren. Der Blutdruck wird gesenkt, das Immunsystem gestärkt und die Ausschüttung der Stresshormone wird vermindert.
Oxytocin und Massage
Mit den Langen Streichbewegungen der Esalen Massage nutzen wir die uralten neuronalen Verbindungswege, die Sicherheit und Wohlbefinden vermitteln, in einem therapeutischen Kontext: die Aktivierung der C-taktilen Nervenfasern. Diese feinen, freien Nervenendigungen unseres Tastsinnessystemes sind in besonders hoher Dichte in der nicht behaarten Haut zu finden. Sie durchweben aber vermutlich das gesamte fasziale Netzwerk. Sie springen nur dann an, wenn warme Hände langsam über die Hautoberfläche streichen. Teile des Gehirns, die Emotionen und Empathie verarbeiten, werden durch diese Langen Streichbewegungen aktiviert.
Man nimmt auch an, dass durch diese Aktivierung neurochemische Stoffe wie Oxytocin als Antwort produziert werden. Je nach Zielorgan, Rezeptorenvorkommen auf den Zelloberflächen und Verteilung kann Oxytocin hier die vielen so ganz unterschiedliche Wirkungen erzeugen.
Oxytocin: tend and defend
Oxytocin kann durchaus auch Misstöne erklingen lassen. Denn das Wohlbefinden und der Zusammenhalt in einer Gruppe, die sich tief verbunden fühlt, steht an vorderster Stelle. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten sprechen von einem «tend and defend» Mechanismus: pflegen, betreuen und verteidigen. Wer als Neuankömmling in eine fest verwachsene Gruppengemeinschaft hinzukommt, kann ein solches «Oxytocin-Phänomen» antreffen. Das gleiche gilt auch für das Zusammentreffen von mehreren Gruppen, die untereinander einen starken Zusammenhalt haben.
Dabei muss es nicht gleich ein Hockeyspiel mit zwei Mannschaften und deren Fanclubs sein. Vielleicht sind es verschiedene Familien und Freundeskreise an einer Hochzeit. Massageteilnehmer, die sich eine Woche gegenseitig massiert haben und nun auf eine zweite Gruppe treffen. Da hilft es, neue gemeinsame Oxytocinwellen zu erzeugen, um sich zu verbinden – zum Beispiel durch Singen, Tanzen, angenehme Berührung und freundlichen Blickkontakt. Alles Möglichkeiten, um die Oxytocinspiegel jedes einzelnen Mitgliedes der neuen Gruppenkonstellation rasch zu erhöhen und ein Gefühl von Verbundenheit und Wohlbefinden zu erzeugen.
Fazit
Die evolutionär angelegten Reaktionsmechanismen der affektiven Berührung werden im therapeutischen Kontext der Langen Streichbewegungen der Esalen Massage aktiviert. Neurophsysiologische Reaktionen sowie die Ausschüttung positiver chemischer Botenstoffe (Oxytocin, Serotonin und andere) führen dazu, dass wir mittels unseren Massagetechniken nicht nur am Ort der Verspannung eine Wirkung erzielen, sondern den Heilungsprozess des gesamten Organismus positiv beeinflussen können.
Literatur (eine Auswahl):
Lehrbuch Haptik: Grundlagen und Anwendung in Therapie, Pflege und Medizin Taschenbuch, 2022, von Stephanie Margarete Müller, Claudia Winkelmann, Martin Grunwald
Kerr F, Wiechula R, Feo R, Schultz T, Kitson A. Neurophysiology of human touch and eye gaze in therapeutic relationships and healing: a scoping review. JBI Database System Rev Implement Rep. 2019 Feb;17(2):209-247.
Triki Z, Daughters K, De Dreu CKW. Oxytocin has 'tend-and-defend' functionality in group conflict across social vertebrates. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2022 May
Film:
Die Macht der sanften Berührung. Doku ARTE